Für den Blog zum elek­tro­ni­sche Pati­en­ten­dos­sier inter­view­en wir Akteu­re aus dem Gesund­heits­we­sen und fra­gen nach ihren Erwar­tun­gen, Zwei­feln und Ein­schät­zun­gen. Zum Bei­spiel Marc Oert­le*, Lei­ten­der Arzt der Medi­zin-Infor­ma­tik des Spi­tals Sim­men­tal-Thun-Saa­nen­land.

Herr Oert­le, ich habe soeben mein EPD eröff­net. Könn­ten Sie mir mei­nen Spi­tal­be­richt bereits dar­in able­gen?
Ja, vor­aus­ge­setzt, Sie infor­mie­ren uns dar­über, dass Sie die Berich­te auch tat­säch­lich im EPD haben möch­ten. Behand­lungs­re­le­van­te Doku­men­te wer­den dann auto­ma­tisch im EPD abge­legt. Wir hat­ten die­sen Auto­ma­ti­sie­rungs­schritt bereits in den ver­gan­ge­nen Jah­ren vor­be­rei­tet. Am Schluss waren es nur noch ein paar tech­ni­sche Hür­den, die uns zu schaf­fen mach­ten.

Was waren das für Hür­den?
Die Fein­ab­stim­mung zwi­schen unse­rem Daten­ar­chiv und dem tech­ni­schen Anbie­ter der Stamm­ge­mein­schaft war umständ­lich. Aber nun haben wir auch die­se im Griff. Die Spi­tal Sim­men­tal-Thun-Saa­nen­land AG war kan­tons­weit das ers­te Spi­tal, das sich dem EPD ange­schlos­sen hat­te.

Haben Sie das EPD schon in der Pra­xis getes­tet?
Ja, sicher. Auch wenn die Nach­fra­ge der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten noch nicht so gross ist. Wir haben ver­schie­de­ne Doku­men­te ins EPD gestellt und die­se dann auch ein­ge­se­hen. Dies auch über die Kan­tons­gren­ze hin­aus: Einen Arzt­be­richt aus dem Kan­tons­spi­tal Grau­bün­den konn­ten wir ohne Wei­te­res bei uns in Thun ein­se­hen. Der Infor­ma­ti­ons­fluss zwi­schen unter­schied­li­chen Stamm­ge­mein­schaf­ten hat also rei­bungs­los funk­tio­niert.

Wie hat sich das Spi­tal auf das EPD vor­be­rei­tet?
Wir haben uns bereits vor Jah­ren auf das EPD ein­ge­stellt. Die fina­len Anpas­sun­gen waren des­halb gar nicht so auf­wen­dig. Wich­tig war zum Bei­spiel, dass das Kli­nik­in­for­ma­ti­ons­sys­tem Berich­te klas­si­fi­zie­ren und mit Schlag­wor­ten ver­se­hen kann. Dies ermög­licht die auto­ma­ti­sier­te Über­mitt­lung von Doku­men­ten ins EPD.

Was bringt das EPD der Spi­tal Sim­men­tal-Thun-Saa­nen­land AG?
Mit dem EPD hät­ten wir rund um die Uhr Zugriff auf alle wich­ti­gen Daten der Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Das ist heu­te nicht immer der Fall. Arzt­pra­xen aber auch Spi­tal­se­kre­ta­ria­te sind nicht per­ma­nent erreich­bar. Aber gera­de zu Rand­zei­ten und in Not­fäl­len kann der Zugang zu Doku­men­ten wich­tig sein. Das EPD schafft hier Abhil­fe. Auch bei einer Ent­las­sung von Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ist das EPD hilf­reich: Ein Aus­tritts­be­richt steht sofort via EPD zur Ver­fü­gung. Zudem sind Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten mit dem EPD erst­mals ein­deu­tig iden­ti­fi­zier­bar.

Wie mei­nen Sie das?
Jede Insti­tu­ti­on – von einer Arzt­pra­xis über Spi­tä­ler bis hin zu Apo­the­ken – iden­ti­fi­ziert ihre Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten über ihr eige­nes IT-Sys­tem. Mit dem EPD und dem dar­in inte­grier­ten «Mas­ter Pati­ent Index» kön­nen Pati­en­ten nun erst­mals auf natio­na­ler Ebe­ne insti­tu­tio­nen­über­grei­fend iden­ti­fi­ziert wer­den. Das sichert nicht nur den Zugriff zu Doku­men­ten beim rich­ti­gen Pati­en­ten, son­dern – und das scheint mir noch viel wich­ti­ger – es ermög­licht uns in Zukunft auch den auto­ma­ti­sier­ten Aus­tausch von Daten und Doku­men­ten – also den soge­nannt «inter­ope­ra­blen Aus­tausch». So sind wir sicher, dass alle betei­lig­ten Gesund­heits­fach­per­so­nen, aber auch Sys­te­me wie ein Kli­nik­in­for­ma­ti­ons­sys­tem, über die­sel­be Per­son «spre­chen».

War­um haben Sie sich für eine so genann­te Tie­fen­in­te­gra­ti­on ent­schie­den?
Dank der Tie­fen­in­te­gra­ti­on ist unser inter­nes Infor­ma­ti­ons­sys­tem direkt an die Platt­form der Stamm­ge­mein­schaft ange­schlos­sen. Das EPD wird Teil der Spi­tal- oder Pra­xis-Kran­ken­ak­te. So hat unser Per­so­nal vom Kli­nik­in­for­ma­ti­ons­sys­tem aus direkt Zugriff auf das EPD und muss sich nicht extra über eine ande­re Platt­form ein­log­gen. Das spart viel Zeit! Län­ger­fris­tig ist das die ein­zig sinn­vol­le Lösung. Ich betrach­te die Ein­füh­rung des EPD als Pro­zess – wir haben schon viel erreicht, sind aber noch lan­ge nicht am Ziel. Gross­flä­chig durch­set­zen wird sich das EPD, wenn wir mit struk­tu­rier­ten Daten arbei­ten kön­nen – also mit Daten, die von allen ein­heit­lich und direkt im Sys­tem erfasst wer­den. Es ist dann nicht mehr nötig, ein­zel­ne Doku­men­te manu­ell im EPD abzu­le­gen. Nur so kön­nen wir auf lan­ge Sicht Infor­ma­tio­nen voll­kom­men auto­ma­tisch und ohne Zusatz­auf­wand wei­ter­lei­ten.

Bis­her haben sich nur weni­ge Gesund­heits­ein­rich­tun­gen für eine tie­fe Inte­gra­ti­on ent­schie­den. Was könn­te hier einen zusätz­li­chen Anreiz schaf­fen?
Es braucht kei­ne zusätz­li­chen Anrei­ze. Es ist nur eine Fra­ge der Zeit, dass sich Orga­ni­sa­tio­nen ver­mehrt für eine tie­fe Inte­gra­ti­on ent­schei­den. Eine brei­te Funk­tio­na­li­tät und eine hohe Effi­zi­enz – der Auf­wand lohnt sich für jede Insti­tu­ti­on.

Was raten Sie Pra­xen, die Mühe haben, das haus­ei­ge­ne Sys­tem an das EPD anzu­bin­den?
Das Pro­blem ist in der Regel nicht die Tech­nik. Die Anbin­dung der Pra­xis-Soft­ware an das EPD kos­tet etwas. Das ist beson­ders für klei­ne­re Pra­xen her­aus­for­dernd. Der Markt hat sich noch nicht rich­tig auf die neue Situa­ti­on ein­ge­stellt. Und es gibt noch kei­nen Richt­wert dafür, wie viel eine auf das EPD-abge­stimm­te Soft­ware-Lösung kos­ten darf.

Wie beur­tei­len Sie die von der Poli­tik ange­stos­se­ne Wei­ter­ent­wick­lung des EPD?
Die geplan­te Wei­ter­ent­wick­lung ist rich­tig und die Stoss­rich­tung stimmt. Aber wir kön­nen nicht auf die Poli­tik war­ten. Das EPD braucht jetzt einen Schub. Alle Betei­lig­ten müs­sen mit ver­ein­ten Kräf­ten eine pra­xis­taug­li­che, effi­zi­en­te und prag­ma­ti­sche Aus­ge­stal­tung des EPD anpei­len. Wir dür­fen nicht auf Ideo­lo­gien und Eigen­in­ter­es­sen behar­ren.

Betrach­ten wir zum Schluss noch ein­mal die wich­tigs­te Par­tei in die­sem Pro­zess: die Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten. Wie pro­fi­tie­ren die­se aus Ihrer Sicht vom EPD?
Dank des EPD kön­nen Pati­en­tin­nen und Pati­en­ten ihre Kran­ken­do­ku­men­ta­ti­on jeder­zeit ein­se­hen und ergän­zen. Es gibt weni­ger Rück­fra­gen und es gehen weni­ger Infor­ma­tio­nen ver­lo­ren. Ich bin mir sicher, die Nach­fra­ge nach dem EPD wird lau­fend stei­gern.

*Marc Oert­le ist Lei­ten­der Arzt der Inne­ren Medi­zin und Medi­zin-Infor­ma­tik in der Spi­tal STS (Sim­men­tal-Thun-Saa­nen­land) AG. Sein Schwer­punkt liegt in der Sys­tem­in­te­gra­ti­on von kli­ni­schen Infor­ma­ti­ons­sys­te­men, ins­be­son­de­re im Hin­blick auf Qua­li­täts- und Pro­zess­op­ti­mie­rung sowie Pati­en­ten­si­cher­heit. Marc Oert­le ist zudem Prä­si­dent der Schwei­ze­ri­schen Gesell­schaft für Medi­zi­ni­sche Infor­ma­tik.